Geschichtswerkstatt Marburg e.V.    Forschung für Regional- und Alltagsgeschichte

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15 Jahre Geschichtswerkstatt in Marburg - gestern Tag der offenen Tür:

"Grabe, wo du stehst!"

Artikel im "SONNTAG-MORGENMAGAZIN" vom 21.11.1999, von Barbara Wagner, Mitglied der Marburger Geschichtswerkstatt e. V.

 


Die Vorsitzende der Marburger Geschichtswerkstatt, Andrea Freisberg, begrüßte die Gäste. Anschließend sang der Chor "Politöne".

Marburg (bb). Geschichtswerkstatt - ein Begriff, der vielen Lesern sicher wenig sagt. Die Idee dazu kommt aus England sowie den skandinavischen Ländern und beinhaltet, dass Geschichte jenseits der akademischen Elfenbeintürme ortsbezogen und von den Betroffenen erforscht wird.

Zu Beginn der 80er Jahre bildeten sich in ganz Deutschland Gruppen, die Geschichte "von unten" oder "alternativ" betrachten wollten. Unter dem Motto "Grabe, wo du stehst" sollen Erkenntnisse über das vergangene Leben in der Region erschlossen werden. So stand gestern in den Räumen der Geschichtswerkstatt symbolisch ein Spaten.

Doch wo gegraben wird, stößt der Ausgräber häufig auf Überraschungen, die von anderen mit voller Absicht dem direkten Blick entzogen worden sind. In der "staatstragenden Geschichtsschreibung" agieren die Mächtigen, vor Ort handelt aber das einzelne Individuum. Diese Geschichten in der Geschichte verdeutlichen, wie Entwicklungen ablaufen, und erst das Begreifen der Alltäglichkeiten macht ein wirkliches Lernen aus der Geschichte möglich.

In der Arbeit der Geschichtswerkstatt kommt der sogenannten "oral history", der mündlichen Überlieferung durch Zeitzeugen, eine besondere Bedeutung zu. Die großen politischen Ereignisse werden so aus dem Blickwinkel der "kleinen" Leute heraus gesehen, und manche Einschätzung ändert sich dadurch entscheidend. So befasste sich die Geschichtswerkstatt beispielsweise mit dem Schicksal der Deserteure der deutschen Wehrmacht. Trotz allen Wissens über den nationalsozialistischen Vernichtungskrieg, haftet dem Deserteur in der öffentlichen Meinung immer noch der Makel des "Drückebergers" und Feiglings an, ein Image, dass die offizielle Geschichtsschreibung nicht revidieren konnte.

Einen besonderen Schwerpunkt in der Geschichtsforschung setzte die langjährige und früh verstorbene Vorsitzende der Geschichtswerkstatt, Barbara Händler-Lachmann, in die Darstellung des Lebens der jüdischen Bevölkerung unserer Region. Von vielen Zeitgenossen wird diese Bevölkerungsgruppe heute noch als nicht zur deutschen Geschichte gehörend empfunden. Das Aufzeigen von Alltagsgeschichte, zum Beispiel aus der nationalsozialistischen Zeit, ruft - manchmal - Betroffenheit hervor, die durch die Kenntnis der "großen" Geschichte nicht erzeugt wird.

Geschichtsforschung ist etwas für jeden, und außerdem macht sie Spaß!


Gestern feierte die Geschichtswerkstatt Marburg ihr 15-jähriges Bestehen.

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