Geschichtswerkstatt Marburg e.V. Forschung für Regional- und Alltagsgeschichte
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Zum 60. Jahrestag des Überfalls auf Polen: den Marburger Deserteuren ein Denkmal von Roland Müller "Sollte das 'Denkmal' Wirklichkeit werden, dann würde ich (ich bin gebürtiger Marburger) diese, meine Heimatstadt nicht mehr betreten." (H. Ahlers, Architekt). Seit 1. September 1999 ist es endlich soweit, Ahlers kommt nicht mehr nach Marburg. Den Marburger Deserteuren des Zweiten Weltkrieges wurde an der ehemaligen Jägerkaserne in der Frankfurter Straße ein Denkmal enthüllt. Sage also niemand mehr, Denkmäler hätten keine Folgen. Dieses hat allerdings auch eine über zehnjährige Vorgeschichte, eine Geschichte der Geschichtswerkstatt. Am Anfang 1988 stand die Idee zur antimilitaristischen Provokation, geboren übrigens am Niederweimarer Baggersee. Und weil es damals noch eine aktive Selbstorganisation der Zivildienstleistenden gab und diese einen Steinmetz als Mitglied hatte, sollte nicht einfach die Forderung erhoben werden, sondern ein Denkmal präsentiert werden. Ziel war die öffentliche Auseinandersetzung, angestoßen durch eine Veranstaltungsreihe. Fortgesetzt mit Parlamentsanträgen in Stadt und Kreis, eine effektvolle Enthüllung im Schülerpark und Gegendemonstration zu den Marburger Jägertagen. Das Echo, was sich u.a. in den Leserbriefspalten der Oberhessischen Presse widerspiegelte, erbrachte mehr Gesinnungsblüten als man sich erträumt hatte: "Eine Desertion bzw. Fahnenflucht hat mit Moral nicht das geringste zu tun, höchstens mit Unmoral und wird im Krieg bei allen Armeen mit dem Tod bestraft und zwar ganz zu Recht! Auch wenn die Herren noch so viele und schöne Worte dafür finden (es wird ja heute so etwas leider öfter verherrlicht) im Grunde genommen haben sie doch nur Angst um ihr eigenes kleines Leben." (H. Ahlers, Architekt) "Die ganze Sache - und das ist das, was hier völlig falsch verstanden wird - hat mit Politik, bzw. Rechts- oder Unrechtsstaat überhaupt nichts zu tun! Allein das Kriegsgericht war zuständig. Wir Soldaten - ich war sechs Jahre Soldat, davon drei Jahre an der sowjetischen Nordfront - haben nicht für Hitler oder die Nazis gekämpft, sondern für unser Vaterland und das wird ja wohl auch heute jeder anständige Mensch tun." (Hans Ahlers) "So, wie ich schwimmen muß, ob ich ins Wasser gestoßen wurde oder freiwillig hineinsprang, so muß der Soldat kämpfen, ob sein Krieg nun ein gerechter oder ungerechter ist. (...) Wenn das (der Treubruch durch Desertion, d. Verf.) die Bedingung des Friedens wäre, dass solch niedrige Gesinnung herrschte, dann, so schwer es auch wäre, würde ich lieber im Krieg, aber unter treuen Menschen leben" (Heinz-Jürgen Reith) "Kein Staat kann geben ohne zu nehmen - ein Denkmal in Marburg für Verweigerer, Überläufer und Ausreißer stellt die Grundlage jeder menschlichen Ordnung auf den Kopf." (Dr. Schüttler) Der Marburger Standortälteste, Oberstleutnant Leyherr, stolperte in einer EXPRESS-Debatte über seinen Unwillen, soldatische Treue zum 3. Reich und seinem Nachfolgestaat zu differenzieren: "Da sehe ich überhaupt keinen Unterschied". Er wurde versetzt. In dieser Debatte brillierte aber auch ein Parlamentarier: Es ließ sich also über Jahre eine Menge Spaß mit dem Denkmal haben. Irgendwann nervte es natürlich eher. Der Vorteil eine solche Debatte mit fertigem Denkmal zu führen, hatte den unangenehmen Nachteil, dass Abstellorte gefunden werden mussten. Nach Aufenthaltsdauer sortiert waren dies: Der alte Knast in der Wilhelmstraße, die Evangelische Studentengemeinde Rudolf-Bultmann-Straße, das KFZ in der Schulstraße. Einige Wochen stand es in einer Halle des städtischen Bauhofs, liebevoll von den Arbeitern eingedeckt, und ganze 60 Stunden duldete die Universität zum Abschluss der Ausstellung "Verbrechen der Wehrmacht" das Denkmal vor dem Hörsaalgebäude. Der Hauptzweck des Denkmals, die Debatte, ist lange vollbracht. Es bleibt zu hoffen, dass es dem Sandsteintorso auch als offizielles städtisches Denkmal gelingt, ab und zu Unwillen zu erregen. Denn dieses Land ist voll von "anständigen Menschen" vom Schlage Ahlers und aktuell hat man den Eindruck, sie werden immer mehr. Dieses Land für sie mit Deserteure-Denkmälern in allen Orten unbewohnbar zu machen, ist unrealistisch. Aber vielleicht trübt dieser Stein die eine oder andere Siegesfeier im "treuen Menschenkreis".
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