Geschichtswerkstatt Marburg e.V. Forschung für Regional- und Alltagsgeschichte
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100 Jahre Erster Weltkrieg"Mit reinen Händen wiedergekommen"Artikel in der "Oberhessischen Presse" vom 27.10.2014, von Dr. Klaus-Peter Friedrich, Mitglied der Marburger Geschichtswerkstatt e. V.
Nicht einmal einen Monat nach dem Beginn des deutschen Überfalls auf Belgien waren "Marburger Jäger" an Massakern im wallonischen Dinant beteiligt. Die Frage nach der Verantwortung für dieses Blutbad - und damit auch: nach den Befehlswegen - ist zuallererst an die militärischen Befehlshaber zu richten. Kommandeur des Kurhessischen Jäger-Bataillons Nr. 11 war Julius Alfred Maximilian Joseph Graf von Soden aus Marburg. Das Foto zeigt Graf Soden (links). Es stammt aus seinem Nachlass und wurde zur Verfügung gestellt von seinem Enkel Götz Gmeiner aus Bad Ems. © Privatfoto Marburg. Im Herbst 1913 ließ sich der Major in Marburg nieder, wohnte dort - wie viele andere Offiziere - in der Weißenburgstraße (heute Schückingstraße). Geboren wurde Max Graf von Soden 1869 in Neustädtles bei Mellrichstadt in der fränkischen Rhön. 1907 heiratete er standesgemäß in Bad Homburg, wo er zwei Jahre später Vater eines Sohns wurde, der sich als Sportschütze einen Namen machen sollte; die Tochter kam in Marburg zur Welt. Kaum hatte er den Posten des Bataillonskommandeurs übernommen, marschierten die Marburger Jäger im August 1914 in Belgien ein. Beim Angriff auf Dinant waren sie einer sächsischen Armee unterstellt. Wie es zu den wenig ruhmreichen Taten der kaiserlichen Truppen, zu dem Gemetzel an Unbeteiligten kam, sollte schon 1915 eine militärinterne Untersuchung herausfinden, deren Materialien sich in einem umfassenden, unter Verschluss gehaltenen Bericht des Kriegsministeriums niederschlugen. Sie enthalten zahlreiche Zeugenaussagen von beteiligten Militärangehörigen. Diese nutzte der Oberreichsanwalt beim Reichsgericht von 1920 an in seinen Ermittlungen gegen Graf Soden mit Blick auf dessen Rolle als Befehlshaber des Jäger-Bataillons Nr. 11 am 23. August 1914. Wie kam es überhaupt dazu, dass gegen von Soden ermittelt wurde? Bataillonskommandeur blieb er bis 1916, also über einen vergleichsweise langen Zeitraum. Nach dem Waffenstillstand wurde er Ende November 1918 vorläufig vom Militär entlassen, kurz darauf noch einmal an die Spitze der Jäger berufen. Alliierte können Auslieferung nicht durchsetzen Schon nach wenigen Wochen überwarf er sich mit dem Soldatenrat, der seit Herbst 1918 auch in Marburg ein Mitspracherecht der Soldaten durchgesetzt hatte, und trat im Februar 1919 (mit allen Offizieren) zurück. Zur gleichen Zeit stellten belgische Stellen Material über jene deutschen Offiziere zusammen, die sie als Verantwortliche für Kriegsverbrechen ansahen. Auf einer langen Liste von Offizieren nannten sie an Position 289 Graf Soden, der "für das systematisch unmenschliche Verhalten" seiner Truppe zur Rechenschaft gezogen werden sollte. Die Auslieferung der mutmaßlichen Kriegsverbrecher konnten die Alliierten nicht durchsetzen, doch bot die Reichsregierung an, das Reichsgericht in Leipzig gegen die Beschuldigten vorgehen zu lassen. Im Zuge der Ermittlungen wurden drei der Kompaniechefs des Jäger-Bataillons zum Geschehensablauf am 23. August 1914 befragt. Sie entlasteten ihren Kommandeur in fast wortgleichen Formulierungen. Nur Hauptmann Erik Claassen (1880 bis 1957) sprach 1923 überhaupt von einer Mitwirkung der Marburger an den Massenerschießungen und erklärte zu einem der Massaker an "männlichen Civilisten", diese seien "zwar in der Hauptsache von Sachsen" erschossen worden, "aber auch Jäger hatten sich daran beteiligt". Graf Sodens Adjutant Georg von Apell (1884 bis 1945) erinnerte sich, dass der Divisionskommandeur der sächsischen Truppen, Generalleutnant Horst Edler von der Planitz (1859 bis 1941), "einen Befehl zum Erschießen der mit der Waffe in der Hand angetroffenen Landeseinwohner gegeben" habe. Mehrmals Gast im Jägerheim am Ortenberg Der 4. Strafsenat entlastete von Soden am 9. Juni 1925, denn die Leipziger "Ermittlungen" hätten "nicht die geringsten Anhaltspunkte dafür zu Tage gefördert, daß Angehörige des Jäger-Bataillons Nr. 11 nach deutschem Strafrecht zu ahndende Handlungen begangen hätten". Die Beschuldigung entbehre somit "jeder tatsächlichen Grundlage". Graf Soden betätigte sich nach seinem Abschied vom Militär vielfach in den Kameradschaften der ehemaligen Offiziere der kaiserlichen Armee, war 1919 in Kassel Mitbegründer und Vorsitzender der Offizier-Vereinigung der Kriegsteilnehmer beim Jäger-Bataillon 11, ein Jahr später Schriftführer des Vereins der Offiziere des ehemaligen Kurhessischen Jäger-Bataillons Nr. 11, im Februar 1921 Gründungsmitglied und Beisitzer der Vereinigung ehemaliger Marburger Jäger und Vorsitzender der Ortsgruppe Marburg im Deutschen Offizierbund. Im gleichen Jahr zog er nach Wehrda im Kreis Hünfeld, hielt sich aber auch danach - 1925/26 und 1929 - als Gast des Jägerheims am Ortenberg längere Zeit in Marburg auf. Soden fordert "Freiheit unserer Volksgenossen" Seinen letzten großen öffentlichen Auftritt hatte der Oberstleutnant a. D. bei der 8. Wiedersehensfeier der Marburger Jäger, die als "Jägertag" Anfang August 1933 in Marburg stattfand. Zu Beginn paradierten die ehemaligen Kriegsteilnehmer mit Hitlers SA durch die Innenstadt. Vor der Kaserne an der Frankfurter Straße angekommen, hielt Graf Soden auf dem Kämpfrasen eine "kernige Ansprache": 1914, bekräftigte er, seien die Jäger "reinen Herzens […] ausgezogen und auch mit reinen Händen wiedergekommen", wenngleich "die Feindesmächte ihn auf die Liste der Kriegsverbrecher gesetzt hätten wegen angeblicher Kriegsgreuel". Der Redner bezeichnete dies als "eine Lüge", und er blickte nun "hoffnungsvoll" in die Zukunft, "nachdem uns unser Herrgott in Adolf Hitler einen Führer geschenkt, der uns einer besseren Zukunft zuführen wird". Im Vorgriff darauf forderte Graf Soden "das Recht auf Lebensraum, die Freiheit unserer Volksgenossen, wo sie auch wohnen". Seine Rede anlässlich der Verbrüderung der Jäger mit den nationalsozialistischen Aktivisten beschloss er mit einem "Sieg Heil" auf Reichspräsident Hindenburg und den "Volkskanzler" Hitler. Die Todesanzeige Max von Sodens, der Anfang 1944 in seinem Geburtsort starb, listete noch einmal voller Stolz seine militärischen Orden auf, darunter das Eiserne Kreuz "1. und 2. Klasse 1914 bis 1918" und das Ritterkreuz mit Schwertern des Hausordens von Hohenzollern. von Klaus-Peter Friedrich (stellvertretender Vorsitzender der Marburger Geschichtswerkstatt) |
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