Geschichtswerkstatt Marburg e.V. Forschung für Regional- und Alltagsgeschichte
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Anweisung: "Abtransport muss sich völlig reibungslos vollziehen"Gedenkveranstaltung für die Menschen, die von den Nazis verschleppt wurdenArtikel in der "Marburger Neuen Zeitung" vom 05.09.2003, von Barbara Wagner, Mitglied der Marburger Geschichtswerkstatt e. V.
Marburg. (wgn). Morgen, genau um 10.16 Uhr soll auf Gleis 5 des Marburger Hauptbahnhofs an die Menschen erinnert werden, die vor 61 Jahren Marburg unter Zwang verlassen mussten und von den Nazis nach Theresienstadt deportiert wurden. Die sechzig Kilometer von Prag entfernt liegende alte Garnisionsstadt wurde von den Nationalsozialisten als Standort für ein Ghetto genutzt. Von den damaligen Machthabern als "Reichsaltersghetto" bezeichnet, war es ein Sterbelager für die alten und kranken Menschen und ein Durchgangslager in den Tod für die gesunden, jungen Menschen. Mit dem als "XV/1" bezeichneten Transport - es war der dritte dieser Art - wurden am 6. September 1942 die letzten verbliebenen jüdischen Bürger aus Marburg und dem Landkreis Marburg-Biedenkopf nach Theresienstadt verschleppt. Es handelte sich um Alte, Kranke und ehemalige Kriegsteilnehmer des 1. Weltkrieges. Darunter waren hochbetagte, weit über 80-jährige Menschen - so wie der 86-jährige Anschel Hammerschlag, der aus dem kleinen Dorf Treis an der Lumda stammte. Deportiert wurde auch die Familie des bekannten Marburger Anwalt Hermann Reis: er, seine Frau und seine 17-jährige Tochter. Ein Fluchtversuch der Familie war zuvor gescheitert. Für sie war Theresienstadt die Zwischenstation auf dem grausamen Weg zur Ermordung in Auschwitz. Mindestens 42 jüdische Marburger, darunter auch die ehemalige stellvertretende Direktorin der Elisabethschule, Hedwig Jahnow, die sich zum evangelischen Glauben bekannte, und 36 Menschen aus dem Landkreis waren auf diesem letzten Transport. "Erschrocken schauten die Marburger, soweit sie sich nicht feige abwandten von dem traurigen Auszug", berichtet ein Augenzeuge über den Zug der Entrechteten und Alleingelassenen zum Bahnhof. "Der Abtransport muss sich völlig reibungslos vollziehen", hatte Landrat Krawelitzki gefordert. Und er konnte tags darauf Erfolgsmeldung an die Gestapo (Geheime Staatspolizei) machen, "dass sich die Judenevakuierung hier reibungslos vollzogen hat und irgendwelche Schwierigkeiten nicht aufgetreten sind." Beim morgigen Gedenken, initiiert durch die Marburger Geschichtswerkstatt, werden die Namen der Deportierten verlesen. Amnon Orbach von der jüdischen Gemeinde in Marburg gedenkt der Toten durch Gebete. Im Anschluss berichtet Professor Karl Braun aus Marburg im Hotel Waldecker Hof über Theresienstadt im Herbst 1942. Braun hat mit einer Studentengruppe der Europäischen Ethnologie eine Ausstellung über den Transport XV/1 erarbeitet. |
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