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Stolpersteine - Steine gegen das Vergessen

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Sophie Johanna Henriette Franck


Für Sophie Johanna Henriette Franck.
 


Das Haus in der Gisselbergerstraße 17.
(Fotos: Wagner, 2018)

Der Stein wurden verlegt am 18.10.2018.

HIER WOHNTE
SOPHIE FRANCK
JG. 1856
DEPORTIERT 1942
THERESIENSTADT
ERMORDET 15.9.1942

Vermutlich ein Selbstbildnis der 12- bis 14-jährigen Schülerin Frida Steffan in hessischer Tracht.
http://www.drusel-ockershausen.de/frieda-steffan.html - Stand 2016

Am 6. September 1942 wurde Sophie Johanna Henriette Franck nach Theresienstadt deportiert. Sie wurde am 8. April 1856 in Frankfurt am Main geboren, wohnte als Rentnerin mit ihrer Tochter Frida Marie Steffan in der Gisselberger Straße 17.

Meldekartei der Geschichtswerkstatt Marburg

Die unverehelichte Sophie Franck hatte im Alter von 31 Jahren 1887 in Kiel eine Tochter bekommen. Im Geburtseintrag wird kein Vater genannt, der Beruf der Mutter mit "ohne besonderen Stand" beschrieben und als Religion "evangelisch" vermerkt.

Geburtseintrag Standesamt Kiel, Nr. 905/1887, Stadtarchiv Kiel

Mutter und Tochter wohnten bereits vor 1900 in Marburg. Das genaue Zuzugsdatum konnte nicht festgestellt werden. 1947 schrieb die Tochter an die Betreuungsstelle für politisch, rassisch und religiös Verfolgte: "Meine Mutter wurde in's KZ Theresienstadt verschleppt im hohen Alter von 86 Jahren; sie war der Abstammung nach Rassejüdin, aber Christin, ihre Eltern hatten sich schon vor der Verheiratung taufen lassen. Jahrelang habe ich alle Anfeindungen u. Benachteiligungen, die meiner Mutter durch die Nazis zuteil wurden, mit erdulden müssen u. war auch persönlichen schweren Aufregungen u. Entbehrungen ausgesetzt. Ich trage den Namen meines Adoptionsvaters des verstorbenen Augenarztes Dr. Philipp Steffan aus Frankfurt a/Main, er war der Schwager meiner Mutter."

Stadtarchiv Marburg 4 D 928, Betreuungsstelle für politisch, rassisch und religiös Verfolgte, Frida Steffan

Philipp Steffan war eine angesehene Persönlichkeit Frankfurts und Mitglied der Senckenbergischen Gesellschaft. Philipp Steffan war Sohn eines Frankfurter Goldschmieds und studierte in Erlangen Medizin und war bei Augenärzten in Berlin und Wien Assistent. 1861 ging er nach Frankfurt/Main zurück und arbeitete als Augenarzt. Er gründete die Steffansche Augenheilanstalt im Holzgraben 16 für Mittellose und eine Privatklinik in der Krögerstraße 8.

Nachruf von F. Baerwind in dem 44. Bericht der Senckenbergischen Naturforschenden Gesellschaft, 1913

Er war mit einer Schwester Sophie Francks, Charlotte Louise Franck, verheiratet. Sie wurde am 18. Juli 1845 in Amsterdam geboren und starb am 30. Juni 1898 in Frankfurt am Main, als Religionszugehörigkeit wird evangelische angegeben. Sie und Sophie Franck waren die Töchter des Kaufmanns Leopold Ludwig Franck und dessen erster Ehefrau Charlotte geb. Haas. Das Ehepaar Franck war vom Judentum zur evangelischen Religion übergetreten.

Informationen Hans-Günter Bott, Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main, Geburts- und Taufbuch

Franck war häufiger in Amsterdam, daher wurde eine Tochter auch dort geboren (sein Reisepass aus dem Jahr 1848 wurde 2017 bei einer Internet Auktion zum Verkauf angeboten). Die Ehe der Steffans war kinderlos und so zog Steffan nach dem Tod seiner Frau, selbst schwer krank, zu seiner Schwägerin nach Marburg. "Als er 1899 nach Marburg übersiedelte, da war er schon nicht mehr der alte Steffan, wie wir ihn schätzten und liebten", heißt es in einem Nachruf.

Nachruf von F. Baerwind, S. 69

1901 adoptierte Steffan die Tochter seiner Schwägerin.

Geburtseintrag Standesamt Kiel, Nr. 905/1887, Stadtarchiv Kiel

Nach der Verordnung über die öffentliche Fürsorge für Juden vom 19. November 1938 Reichsgesetzblatt 1938, S. 1649 war Franck am 1. März 1939 die kleine Rente entzogen und sie damit völlig mittellos geworden. Warum Frida Steffan, nach NS-Ideologie Tochter einer "Volljüdin", nicht deportiert wurde, mag an dem hohen Ansehen ihres Adoptivvaters gelegen haben. Die jüdische Abstammung ließ sich durch die bis in die 1870er Jahre geltende Registrierung der Personenstandsfälle in den Kirchenbüchern und den im 19. Jahrhundert parallel dazu geführten Zivilstandsregistern der Juden besonders effektiv nachverfolgen. Die Abgrenzung war scharf. Die Juden konnten problemlos "ausgesondert" werden, in die Ausweise, die sogenannten Kennkarten, wurde ein "J" gedruckt, in den Standesamtsregistern wurde ab 1939 bei vermeintlich nicht eindeutig jüdischen Vornamen der Zwangsname "Sara" beziehungsweisen "Israel" beigeschrieben.

Frida Steffan berichtet nach dem Krieg, wie kurz nach der Deportation der Mutter das Mobiliar ihres Schlafzimmers von Mitarbeitern des Finanzamts abgeholt wurde, um es zu versteigern. Eine fehlende Matratze musste sie aus ihrem eigenen Bestand verpacken und beisteuern. Frida Steffan starb unverheiratet am 26. September 1970 in ihrer Wohnung Gisselberger Straße 17 in Marburg im Alter von 83 Jahren.

Sterbeeintrag Standesamt Marburg, Nr. 866/1970, Zweitbuch unter https://www.lagis-hessen.de, Hessische Geburten-, Ehe-, Sterberegister, Stand 2018

Erhalten sind Malereien von ihr mit Motiven aus Ockershausen: http://www.drusel-ockershausen.de/frieda-steffan.html, Stand 2016 Im Nachlass eines Mitglieds der Familie Steffan in Frankfurt am Main wurde in den 1980er Jahren von dem Nachlassverwalter, dem Historiker und CDU-Stadtverordneten Professor Karl-Heinrich Rexrodt in einer Schublade eine Mappe mit den vergilbten Bildern der Frida Steffan gefunden.

Mitteilung von Reinhold Drusel, Januar 2017

 

Die Patenschaft für diesen Stein haben Clara Zinecker
und der Soroptimist Club Marburg übernommen.

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