Geschichtswerkstatt Marburg e.V. Forschung für Regional- und Alltagsgeschichte
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Stolpersteine - Steine gegen das Vergessen Julius Fürst und Martha Fürst geb. Gumperg
Die Steine wurden verlegt am 29.09.2011.
Die Familie Fürst, die ursprünglich aus Frankenberg stammte, besaß seit Mitte des 19. Jahrhunderts verschiedene Geschäfte in Marburg. Etwa 1880 erwarb die Familie das Haus in der Rosenstraße 2. Dort betrieben sie ein Geschäft für Frucht-, Mehl- und andere Landesprodukte. Die Familie war - genauso wie ein großer Teil des jüdischen und nichtjüdischen Bürgertums - national und konservativ eingestellt. Julius Fürst, der am 16. Februar 1873 in Marburg geboren worden war, hatte wie sein Bruder Berthold Fürst für Deutschland im Ersten Weltkrieg als Soldat gekämpft. 1909 übernahm er das Geschäft von seinem Vater. Um 1920 erweiterte Julius Fürst seinen Betrieb und handelte auch mit Tabakwaren. 1914 verkauften er und seine Frau Martha geb. Gumperg, die am 30. August 1883 in Augsburg geboren wurde, das Haus an den Inhaber der heute noch existierenden Firma Seidel. Das Ehepaar lebte seither als Mieter in dem Haus. Im Frühjahr 1933 wurde auch das Geschäft der Fürsts Opfer erster Boykottaktionen gegen jüdische Betriebe. Unter solchen Bedingungen lebten Fürsts fünf schwierige Jahre bis zum Jahr 1938. Dann kam eine der nächsten Stufen der Entrechtung. Am 12. November 1938 wurde die Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben erlassen. Danach war es Deutschen jüdischen Glaubens vom 1. Januar 1939 an verboten, selbstständig Geschäfte zu führen, Waren zu kaufen und zu verkaufen oder ein selbstständiges Handwerk zu betreiben. Ihre Geschäfte wurden polizeilich geschlossen. Das entsprechende Schreiben vom 10. Dezember 1938 richtete der Marburger Oberbürgermeister unter anderem an die Familie Fürst. Die Entrechtung und die Schikanen gingen weiter. Julius und Martha Fürst wurden von dem Fabrikanten Heinrich Seidel auf Räumung verklagt. In der Klage heißt es: Der Kläger hat sich schon wiederholt bemüht, die Beklagten zu veranlassen, die Wohnung zu räumen, weil es für ihn unerträglich ist, als Mitglied der NSDAP mit Juden länger in einem Hause zu wohnen [....] Die Beklagten berufen sich auf Mieterschutz. Gegenüber einer neuen Kündigung erklärten die Beklagten, sie beabsichtigten, nach Amerika auszuwandern, könnten allerdings noch nicht sagen wann dies sei. Der Kläger will und kann sich auf Verhandlungen [....] jetzt nicht mehr einlassen. Es kann ihm nicht mehr länger zugemutet werden, länger mit dem jüdischen Ehepaar in einem Hause zu wohnen. Es wird hierzu daraufhingewiesen, dass sich an den Gerichten immer mehr der durchaus richtige Gedanke durchsetzt, dass Juden Mieterschutz nicht mehr gewährt werden kann, weil eine Wohngemeinschaft mit ihnen einem Volksgenossen nicht zuzumuten ist. Tatsächlich stand dem Kläger nach dem damals noch geltenden Recht kein Räumungsanspruch zu; das Ehepaar Fürst konnte sich darüber hinaus auf geltendes Kündigungsschutzrecht berufen. Am 20. Dezember 1938 wurde vor dem Amtsgericht in Marburg über die Räumungsklage verhandelt. Was in der Verhandlung erörtert worden ist, lässt sich heute nicht feststellen. Die Akte ist nicht vollständig. Sie schließt jedoch mit einem Anerkenntnisurteil, durch das das Mietverhältnis bereits zum 31. Dezember 1938, also schon 11 Tage später, beendet wird. Das Ehepaar Fürst musste seine Wohnung verlassen und in das "Ghettohaus" in der Schwanallee 15 einziehen. Dort lebten sie bis zu ihrer Deportation am 6. September 1942 nach Theresienstadt. Sie wurden in Auschwitz ermordet. Die Informationen basieren auf einem Vortrag von Georg D. Falk. |
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