Geschichtswerkstatt Marburg e.V. Forschung für Regional- und Alltagsgeschichte![]()
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In Marburgs Geschichte gäbe es viel zu entdecken:Walter Bernsdorff - zum Beispiel: die Geschichte der Industriebetriebe - zum Beispiel: Leben, Verdienst, Rechte und Organisationen der Arbeiterinnen und Arbeiter - zum Beispiel: die Lebensdaten von vergessenen "Kämpfern" und ihrer Frauen und Familien Marburg ist keine typische deutsche Kleinstadt des 19. und 20. Jahrhunderts, kein typisches Oberzentrum der Jahrtausendwende. Und Marburg wollte es auch nie typisch sein, denn es hieß immer, Marburg hat keine Universität, Marburg ist eine Universität. Oder, es war - und ist? - typisch für eine kleine Stadt mit Universität und Garnison. Und damit war klar, wer hier das Sagen hatte, wer die öffentliche Meinung kreierte und dazu die Möglichkeiten hatte: - Professoren und deren Familien Daß es auch Arbeiterinnen und Arbeiter gab, wird vermutlich niemand bestritten haben, wenn man ihn oder sie gefragt hätte. Ja natürlich, wer im Haushalt Köchinnen und Dienstmägde, Kindermädchen und Waschfrauen beschäftigte, der hätte das ja auch nicht leugnen können. Es soll tausend davon im kleinen Marburg gegeben haben um 1910. Um 1870 gab es in Marburg mehr Industriearbeiter als Studenten. Haben Sie das gewußt? Nämlich mehr als 400. So wenige Studenten? Das hätte ich nicht gedacht. Und was machten diese Arbeiter:? Sie drehten Zigarren und drechselten Spielzeug (Fa. Weber am Grün). Das ich das jetzt erst erfahre? Was es alles gegeben hat! In der Calvinstraße habe ich davon nichts bemerkt. Und Arbeiterinnen? Ach ja, vermutlich in der Tabakfabrik von Niderehe. Wieviele? Keine Ahnung! 50? 100? Und woher kamen die eigentlich? Zu Fuß aus Sarnau? Ach, wirklich - die armen Geschöpfe! Konnten die nicht wenigstens mit Bahn nach Marburg fahren? Das war zu teuer? Das kann ich mir gar nicht vorstellen. Na so was! Und Arbeiter gab es auch, aber gottseidank nur im Norden der Stadt, wo die Straßen viel später gepflastert wurde, wo es stank und dreckig war. Leider mußte man zum Bahnhof daran vorbeifahren. Wieviele? und in welchen Firmen? Ostheim, Seidel, Kobe, dann auch Heppe. Ja, ja, die kennt man doch aus dem Stadtparlament, in das sie als vermögende Männer im Drei-Klassenwahlrecht gewählt wurden. Und wer heizte die Kliniken, reinigte die langen Flure, wusch die Klinikswäsche, machte Dienst als Hausmeister, reparierte Schäden? Und wer baute die vielen Häuser in den Gründerjahren und später, im Südviertel und im Afföller? Die Firmennamen kannten alle, und deren Chefs hat man auf den Bällen der Bürgervereine gesehen, wohlgekleidet und einem guten Tropfen zugetan. Aber wer waren die Bauarbeiter? Die kamen aus dem roten Ockershausen, aus den katholischen Dörfern im Osten der Stadt, aber auch aus Michelbach und Wehrda, Cappel und Marbach. Die waren doch bestimmt heilfroh, überhaupt Arbeit zu haben, um ihre, wie man hörte, großen Familien zu ernähren. Die sollen sogar gestreikt haben, wochenlang, zum Beispiel 1913. Ohne Ergebnis. Das hätten sie aber auch voraussehen können! Und da muß es doch auch Anführer oder gar Aufwiegler gegeben haben! Aber an Namen kann ich mich nicht erinnern. Wer so häufige Namen wie Otto, Henkel, Rösler, Grimm, Vaupel, Drusel, Schröder, Hammer, Geilfuß, Abel, Rohr oder Heinzelbecker trägt, der kann ja nicht auffallen. Nur gut, daß es unter den Akademikern keine "Roten" gab. Wirklich? Wie war das denn mit den Demokraten unter den Professoren der 48-Jahre in Marburg? Und wie verhielten sich Martin Rade schon vor 1914 und Professor Mommsen als Republikaner der Weimarer Zeit? Und Erich Auerbach? Na ja, einige wenige mag es gegeben haben. Marburg ist eine langsame Stadt, glaube ich bemerkt zu haben, aber auch nicht langsamer als andere vergleichbare Kommunen. Da wird erst in den letzten Jahren auf Plätzen und Straßen, Brücken und Stegen an Marburgerinnen und Marburger erinnert, die wir uns merken sollten. Tafeln werden angebracht für die ermordeten Sinti und Roma, auch für Werner Bergengruen zum Beispiel, der hier eine kurze Zeit studierte und seine Frau kennenlernte - übrigens aus jüdischer Familie! Die beiden großen Brücken erhielten die Namen der vielleicht
wichtigsten Bürger der Bundesrepublik Deutschland: Adenauer und Schumacher.
Das geschah in den 60er Jahren. Gab es damals keine anderen Vorschläge, um
an für Marburg wichtige Persönlichkeiten zu erinnern? Erst Bernhard vom Brocke(1980) und Jahre später Sven Weber (1994) haben
sich darangemacht, diese Kapitel der Marburger Geschichte in Ausschnitten zu
untersuchen und darzustellen. Und vorher? Robert Michels hat um 1910 eine
soziologische Studie der Marburger Sozialdemokraten vorgelegt, die auch
heute noch lesenswert ist. Aber daß seine Frau Gisela wesentlich dabei
mitgewirkt hat, den Marburger Konsumverein zu gründen (1903), das steht
auch da nicht drin. Was ist zu tun - oder besser: welche Themenbereiche müßten von Kleingruppen behandelt werden? 1. Zur Geschichte der Industriearbeit (Spielzeug, Metall, Tabak)
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